Shabbat Shalom!
- annainisrael
- 18. Nov. 2015
- 3 Min. Lesezeit

Wenn in den Familien die letzten Vorbereitungen für einen ruhigen Tag getroffen werden, man seine Wochenendausflüge wegen Einschlafens des öffentlichen Nahverkehrs gut abgestimmt haben sollte und die Frauen bei beginnendem Sonnenuntergang die Kerzen in den Haushalten zum Leuchten bringen, dann beginnt der Shabbat. Von Balkonen zu den Nachbarn hinunter, in den Straßen, wo man einander auch begegnet, grüßen jüdische Mitbürger sich dann mit „Shabbat Shalom“.
Dieser Ruhetag geht auf den siebten Tag der Schöpfung zurück, als Gott sich nach getaner Tat zufrieden ausruhte und einen Tag Pause gönnte.
Dieses Wochenende bekam ich die einmalige und großzügige Einladung einer jüdischen Familie, mit ihnen den Freitag und Samstag zu verbringen. Ich bin immer noch sehr dankbar dafür.
Da es auf den Winter zugeht, begann der Shabbat letzten Freitag schon um 16:15. Vorher musste alles erledigt sein, was in der Familie bis zum Sonnenuntergang des nächsten Tages nicht mehr zulässig ist: Kochen, Herdplatte einstecken, Licht an-, beziehungsweise ausschalten, duschen gehen, Zimmer aufräumen, Blumen gießen, elektronische Geräte verstauen, sauber machen, Orangen pflücken, Wäsche aufhängen, Auto parken… Der Shabbat wird in jener Familie als wirklicher Ruhetag gesehen. Wie ausgeprägt die Idee dieses Ruhetages gelebt wird, variiert von Familie zu Familie allerdings sehr stark.
Das Anzünden der Kerzen zum Einleuten des Shabbat steht ausschließlich den Frauen zu. Damit verbunden ist eine der - wie mir scheint - zentralen Ideen des Judentums, durch das eigene Tun und Handeln Licht in die Welt zu bringen. Unser Abend begann damit, dass die Mutter mir ein paar Kerzen zum Anzünden übrig ließ und dann allen Familienmitgliedern einen guten Wunsch und eine Art Segen für die kommende Woche zusprach. Der jüngste Sohn bestand darauf, dass auch ich bedacht wurde.
Auf einem Spaziergang mit Jo (der Mama) trafen wir viele Männer auf dem Weg zum Beten oder von dort kommend, wir gingen in einem Umkreis von fünf Blocks an acht Synagogen vorbei, bestaunten die Leere der Straßen und schließlich den farbenfrohen Himmel.
Netanya, etwas nördlich von Tel Aviv am Meer gelegen, ist ein modernes und buntes Städtchen. Die Straßenschilder spiegeln die großartige Vielfalt der Stadt wider: Viele Hinweise findet man in Hebräisch, Arabisch, Russisch und Englisch. Zudem hört man häufig Französisch, da die französische Gemeinschaft aufgrund zunehmender Einwanderung wegen gefühlter Unsicherheit in Frankreich stetig wächst.
Zu Hause angekommen fanden wir zum Shabbat-Mahl zusammen. Der Vater und der älteste Sohn (an der rechten Seite des Vaters sitzend) eröffneten das Essen mit einem gemeinsamen Lesen eines Thora-Textes, tranken aus dem Kelch mit Grapefruitsaft (eigentlich Wein), wir bekamen danach einen Schluck ab, das Brot wurde gebrochen, in Salz gedippt und mit Worten aus der Thora an uns weitergegeben. Bevor wir uns über das leckere Essen (Reis mit Linsen, grüne Bohnen, Humus, großer Salat, Dampfgemüse, Schnitzel und scharfe Saucen) hermachten, folgte ein spezielles Händewaschen.
Dann unterhielten wir uns, tauschten Meinungen und Ansichten aus, lachten und ich konnte die Familie mit Berichten aus Deutschland und Berlin überraschen.
So hatten sie zum Beispiel noch nie etwas von den Stolpersteinen gehört und wollten mehr über die Holocaustgedenkstätten erfahren.
Für mich war diese Begegnung auch deshalb eine besondere Erfahrung, da die Familie hauptsächlich in Zeichensprache miteinander kommuniziert. Der Vater ist taub, der ältere Sohn hört mit Hörgeräten und der jüngere wird auch bald welche brauchen. Zu sehen, wie die Kommunikation ohne Worte wunderbar funktioniert und das Familienleben von sehr viel Wärme geprägt ist, war wunderbar.
Eine Familie, eine eigene Kultur. Mit Jo unterhielt ich mich sehr viel an diesem Wochenende und sie warnte mich davor, mir zu große Hoffnungen zu machen, dieses Land wirklich verstehen zu werden.
Es ist tatsächlich so - man bekommt von allen Seiten so viele unterschiedliche Eindrücke, manche davon passen zusammen, andere scheinen gar nicht hier her zu gehören, wiederum die nächsten wollen anscheinend zwischen Allem vermitteln.
Wenn man sich ein Bild von Israel machen möchte, kann man dies vielleicht als Mosaikarbeit angehen. Mein persönliches Israel-Mosaik habe ich grade erst angefangen und so darf es ruhig noch weiter wachsen.


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