Ein Mond über den Kerzen am Baum
- annainisrael
- 10. Dez. 2015
- 2 Min. Lesezeit

Wie kann es sein, dass in diesem Land Judentum, Islam und Christentum auf so engem Raum miteinander leben, diese drei großen Weltreligionen zahlreiche historisch und spirituell bedeutende Städte miteinander teilen, gemeinsam Wham’s „Last Christmas“ pfeifen und es trotzdem scheint, als käme einfach keine Ruhe in diese Region?
Einige der Israelis fragen mich etwas belustigt, wie ich die vielen Attentate und Bombenanschläge hier bisher so erlebt hätte. Auch sie wissen, dass die ausländischen Medien dazu neigen, ihr Augenmerk besonders auf die gewalttätigen Übergriffe in ihrer Berichterstattung zu richten. Es ist nicht abzustreiten, dass es in Ballungsgebieten zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt, beim Betreten der zentralen Busstationen oder Einkaufszentren alle Gepäckstücke kontrolliert werden und der ganze Körper überprüft wird.
Dass es aber auch noch ein Israel gibt, in dem Juden, Muslime und Christen friedlich das Leben zusammen genießen und damit ganzen Städten eine besondere Atmosphäre verleihen, zeigten mir die Tage in Tiberias und Haifa.
Im überschaubaren Tiberias, am Westufer des See Genezareth gelegen, verband ich Stätten der drei Religionen mit einem Spaziergang. So erinnerte mich ein bescheidenes „Merry Christmas“-Schild an der Tür der Sankt-Peter-Kirche daran, dass es auf Weihnachten zu geht und als kleinen Gruß zum zweiten Advent löste ich beim Eintreten in den ruhigen Altarraum der Schottisch-Anglikanischen Kirche unfreiwillig die Alarmanlage aus. Von dort aus sieht man über ein paar Dächer weiter die al-Omari-Moschee, um die herum man sehr lecker Falafel essen kann.
Die meiste Zeit verbrachte ich anschließend in einem Museum, welches neben dem Grab Maimonides errichtet wurde, das heute eine wichtige jüdische Pilgerstätte ist.
Maimonides war ein jüdischer Gelehrter, der als Physiker, Arzt, und Rechtswissenschaftler viele Schriften hinterließ und zu seiner Zeit ebenfalls dem Sultan Saladin diente. Auszüge seiner Schriften und Gedanken anderer Philosophen sind in dem Ausstellungsraum veröffentlicht, die sich mit „dem Jüdischen“ im alltäglichen Leben befassen. So wird den Juden beispielsweise geboten, ihren Nächsten zu lieben und gut von ihnen zu sprechen, Reichtum mit den Armen zu teilen, die Kranken zu besuchen, Gäste willkommen zu heißen und all jene Dinge selber in die Tat umzusetzen, die man von anderen auch erwarten würde. Diese vor hunderten von Jahren niedergeschriebenen Gedanken kamen mir irgendwie bekannt vor. Nun sind die Gemeinsamkeiten zum christlichen Glauben nicht verwunderlich, wenn man die gemeinsame Geschichte beider Religionen bedenkt. Sie erinnern aber dennoch an den gemeinsamen Kern, der unabhängig aller äußerlicher Verschiedenheiten und Traditionen existiert.
In Haifa führte ich meine Erkundungstour weiter. Jene drittgrößte Stadt Israels schien mir nicht nur aufgrund des herrlich sonnigen Wetters zu strahlen. Wenn man mit offenen Augen die Straßen entlang geht, erblickt man neben interreligiösen Begegnungsstätten, arabischen Hostels in jüdischer Nachbarschaft, Synagogen Seite an Seite mit den berühmten Bahai-Gärten und bekennenden Juden auf dem arabischen Markt selbst in der Straßengestaltung Zeichen eines friedlichen und toleranten Miteinanders.
Nach einem Monat Israel hat sich mein Eindruck gefestigt. Die Nachrichten, welche mich beinahe von dieser Reise abgehalten hätten, zeigen nur die eine Seite des Lebens in diesem manchmal durchaus rauen, aber auch äußerst herzlichen Land und werden der Situation damit nicht gerecht.


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